Meine Stellungnahme:
Vor kurzem hatte ich die Möglichkeit, Leoluca Orlando, den Bürgermeister von Palermo zu treffen. Er besteht darauf, dass „Freizügigkeit ein Menschenrecht ist“ (Charta von Palermo, 2015) und dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten. Er bescheinigte, obwohl dies Salvini per Gesetz verboten hatte, den in Palermo ankommenden Migrant*innen einen festen Wohnsitz, begrüßte sie als Bürger*innen der Stadt und bot ihnen dadurch de facto einen „sicheren Hafen“. Das Ergebnis: Palermo ist heute, sogar offiziell bestätigt, die sicherste Stadt Italiens, weil die Menschen sich mit ihr identifizieren, mehr als mit den eigenen Communitys, und dementsprechend viel Zivilcourage zeigen.
In Deutschland gibt es inzwischen 127 Städte, darunter 12 bayerische, die zu den „sicheren Häfen“ zählen, Kempten muss meiner Meinung nach eine der nächsten werden. Die Schwelle zum Beitritt ist gezielt niedrig gehalten, es reicht eine der Seebrücke-Forderungen zu erfüllen. Eine öffentliche Solidaritätserklärung mit Menschen auf der Flucht könnte reichen. Ich würde trotzdem für mehr plädieren: Die von Seebrücke vorgeschlagene Selbstverpflichtung, vor Ort für eine menschenwürdige Unterbringung der Geflüchteten zu sorgen, wäre beispielsweise in Anbetracht der beiden neuen Unterkünfte mit je 190 Plätzen genauso angebracht wie die Zusage, sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten gegen Abschiebungen einzusetzen.
Am meisten freuen würde mich jedoch, wenn Kempten – dem Beispiel von 7 Bundesländern und etwa 30 Städten folgend - sich bereit erklären würde, einige der mindestens 2.000 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aus griechischen Lagern aufzunehmen. Wir haben 2015-2016 im Haus International unbegleitete Minderjährige erlebt, die in Apathie verfallen und ohne Vorwarnung ohnmächtig zusammengebrochen sind und auf sofortige ärztliche Hilfe angewiesen waren. Heute wissen wir, dass es sich um die Erkrankung „Resignationssyndrom“ oder „Selbstaufgabe-Syndrom“ handelt, die wegen zahlreicher Fälle inzwischen gut untersucht ist. Sie kann schnell lebensgefährlich werden und sie verbreitet sich u.a. im Lager Moria auf Lesbos fast seuchenartig. Die freiwillige Aufnahme von dringend Schutzbedürftigen wird in Deutschland vom Bundesinnenministerium blockiert. Unser Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller sagte noch vor Weihnachten der Passauer Neuen Presse, dass man am wirksamsten vor Ort helfen könne und müsse: ein leeres Versprechen, wie wir heute wissen. Er hätte die Möglichkeit, auf seinen Kollegen Seehofer Druck auszuüben und ein tatsächliches Leuchtturmprojekt nach Kempten zu holen: Unsere Jugendeinrichtungen haben seit 2015 viele Erfahrungen gesammelt und könnten effektiv Menschenleben retten.