Daheim

Daheim

"'Als was definieren Sie sich eigentlich?', wollte Moritz wissen. 'Jude, Italiener oder Tunesier?'
Albert sah ihn halb amüsiert, halb streng an.
'Das ist eine sehr deutsche Frage.'
'Warum?'
'Sie benutzen das Wort oder. Wir bevorzugen das Wort und.'"
Daniel Speck: Piccola Sicilia, 2018

Sich irgendwo auf dieser Welt daheim zu fühlen, ist ein menschliches Bedürfnis, das oft unterschätzt wird. Früher sprach man gerne auch über "Heimat", der Begriff wurde jedoch in letzter Zeit von Horst Seehofer und Co. stark diskreditiert. 

In den Dorfgemeinschaften der Vormoderne gab es keine Zweifel daran, wo man hingehörte, aber auch kaum Möglichkeiten, der Enge dieser Welt zu entkommen. 

Mindestens 250 Millionen Menschen leben heute in einem Land, wo sie nicht geboren wurden. Viele von ihnen tun das nicht freiwillig. Hannah Arendt beschrieb beeindruckend, welche katastrophalen Folgen es hat, "wenn der Mensch den Standort in der Welt verliert,
durch den allein er überhaupt Rechte haben kann und der die Bedingung dafür bildet, dass seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen von Belang sind." (1943) 

Die meisten in Europa geborenen Menschen, ich auch, haben jedoch das Glück, an vielen, mehr oder weniger konkreten, Orten daheim zu sein. "Jeder von uns hat vielfältige Identitäten, und sei es nur, weil er mehrere gesellschaftliche Zugehörigkeiten besitzt." (Alfred Grosser) Gerade in unseren unruhigen Zeiten, in der viele Fixpunkte des menschlichen Lebens weggebrochen sind, ist der Wunsch, eine geschlossene, feste Identität haben zu wollen, zwar verständlich, jedoch nicht realisierbar. 

Mir persönlich bereitet es viel Freude, mich gleichzeitig in mehreren Kulturen und an mehreren Orten daheim zu fühlen. Wir kennen die Weisheit: Abschied nehmen heißt immer ein wenig sterben. Das passiert mir, wenn ich meine Familie in Kempten verabschiede, um meine Mutter in Ungarn zu besuchen. Ich sage meiner Frau: "Ich fahre heim. Bis bald!" Daheim anzukommen heißt immer neu geboren zu sein. Das erlebe ich dann in meinem Geburtshaus. Dann kommt aber wieder das kleine Sterben bei der Verabschiedung von meiner Mutter, der ich in der Situation sage: "Ich fahre heim. Bis bald!" Und in Kempten werde ich dann wieder ein bisschen neu geboren. Was für ein Luxus!

Das Gefühl, daheim zu sein, erlebe ich aber nicht nur in Bezug auf die Familie. Einige "Orte", wo ich zu Hause bin, beschreibe ich auf den folgenden Seiten.
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