Seit der Aufklärung legen wir viel Wert auf rationales Denken, auf unsere individuelle Freiheit und schätzen die Gewaltenteilung. Die Idee des Sozialstaats und der sozialen Gerechtigkeit sind auf die Arbeiterbewegung und auf politische Revolutionen zurückzuführen. Der europäischen Idee und der europäischen Integration verdanken wir die längste friedliche Epoche unserer Geschichte und unseren Wohlstand.
Europa hat aber nicht nur positive Seiten: In seiner Entstehung und in seiner Geschichte spielte Gewalt eine große Rolle. Inquisition, Kreuzzüge und Antisemitismus stehen symbolisch für die brutale Bekämpfung von Menschen, die an einen anderen Gott glauben. Die Eroberung der Welt und die Kolonialisierung waren mit rassistischem Hass und mit der Vernichtung ganzer Völker verbunden; die wirtschaftlichen Folgen spüren wir bis heute. In Europa entstand die zerstörerische Ideologie des Nationalismus, dessen radikalen Auswüchse die Menschheit in zwei Weltkriege stürzten. Die Shoa gehört zu den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Die in den letzten Jahrzehnten entstandene europäische Erinnerungskultur setzt sich selbstkritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinander und dient als Grundlage für eine nachhaltige demokratische und offene politische Kultur.
In meiner Entwicklung zu dem Menschen, der ich heute bin, spielten die europäische Literatur, die europäische Philosophie, die europäische Wissenschaft, die europäische Musik, der europäische Film und die europäische Kunst eine ausschlagende Rolle. Ohne sie wäre für mich ein sinnvolles Leben nicht vorstellbar!